MPC-Skandal – Gerichtliche Klärung „auf die lange Bank geschoben“

A 498044
Dr. Peter Kolba (Leiter des Bereiches Recht im VKI)

Seit 2013 ist der VKI im Interesse von rund 16.000 geschädigten österreichischen Anlegern durch den MPC-Skandal tätig, um deren Schaden wenn möglich zu minimieren. Dazu gehörten Rahmenvergleiche mit den Vermittlerbanken im Jahr 2014, eine Strafanzeige gegen MPC/TVP/CPM im Herbst 2014, Sammelklagen und Musterprozesse.

MPC hatte – über eine Österreich-Tochter (heute: CPM) – in den Jahren zwischen 2002 und 2008 in Österreich „geschlossene Fonds“ an Schiffen, holländischen Immobilien und Lebensversicherungen verkauft. Die Anleger wurden zu Treuhandkommanditisten  der jeweiligen Fonds. Mit deren Kapital und einer Fremdfinanzierung durch Banken wurden die Fondsobjekte gekauft und den Anlegern wurden 7 Prozent und mehr an jährlichen „Ausschüttungen“ versprochen. Inzwischen sind insbesondere eine Reihe der Hollandfonds knapp vor oder in Insolvenz und die finanzierenden Banken verlangen von den Anlegern die erhaltenen Ausschüttungen zurück. Die MPC hatte den Anlegern nämlich – plangemäß – nur eigenes Kapital zurückgezahlt, das nun – in der Krise – wieder zurückgefordert werden kann.

Nach deutschem Recht ist solchen Rückforderungen – nach der Judikatur des BGH – wenig entgegenzusetzen. Nach österreichischem Recht gibt es noch keine Judikatur zu den vielen komplizierten Rechtsfragen, die sich aufwerfen[1]. Nach deutschem Recht wären Schadenersatzforderungen zum Teil schon verjährt (10 Jahre absolute Verjährungsfrist), nach österreichischem Recht (30 Jahre absolute Verjährung) uU noch nicht. Es ist also wesentlich vorab zu klären: Wo kann man klagen bzw geklagt werden und welches Recht kommt zur Anwendung.

In den Treuhandverträgen der TVP wurde die Geltung deutschen Rechts und eines deutschen Gerichtsstandes vereinbart. Grundlage für viele juristische Aktionen des VKI ist daher eine Verbandsklage des VKI gegen die TVP gerichtet auf Unwirksamkeitserklärung einer Reihe von Klauseln – insbesondere der Gerichtsstands- und der Rechtswahlklausel – in den Treuhandverträgen zwischen den Treuhandkommanditisten und dem Treuhänder TVP. Dieses Verfahren schleppte sich am Handelsgericht Wien dahin wie ein Strudelteig. Letztlich konnte der VKI im Herbst 2015 die Verbandsklage aber in erster Instanz gewinnen. Alle Klauseln wurden für gesetzwidrig und unwirksam erklärt.

Die beklagte TVP erhob Berufung an das OLG Wien. Derweilen hatte der OGH in einer Verbandsklage des VKI gegen Amazon (Sitz in Luxemburg) ein Vorabentscheidungsverfahren an den EuGH beantragt, um zu prüfen, wo und nach welchem Recht der VKI klagen könne. Das OLG Wien hat daraufhin das Berufungsverfahren  gegen die TVP unterbrochen. Nun liegt die Entscheidung des EuGH vor[2]: Gerichtsstand ist Österreich und das Sachrecht richtet sich nach der Rechtswahl, es sei denn, die Rechtswahlklausel wäre unwirksam.

Als nächster Schritt hat der VKI die Fortsetzung des Berufungsverfahrens gegen TVP beantragt. Dem gibt das OLG Wien nun statt, doch anstatt nun selbst zu entscheiden, wird die Entscheidung nur an andere Instanzen verschoben: Das Ersturteil wurde aufgehoben und das Gericht beauftragt nun anhand des deutschen Rechtes zu prüfen, ob die Rechtswahlklausel wirksam vereinbart wurde. Der ordentliche Revisionsrekurs an den OGH wurde zugelassen, damit der OGH auch seine Meinung sagen könne.
Und weg ist der Akt vom Schreibtisch des OLG Wien.

Diese Entscheidung ist höchst ärgerlich und hilfreich zugleich:

  • Die ungeheure Rechtsfrage, ob die Rechtswahlklausel nach deutschem Recht wirksam ist, hätte das Berufungsgericht wahrlich selbst entscheiden können. Es gibt in Deutschland und in Österreich das strenge Transparenzgebot und daher ist eine Klausel, die den Vertragspartner Glauben macht, dass ausschließlich deutsches Recht zur Anwendung komme und zwingende österreichische Verbraucherschutznormen gar nicht erwähnt, intransparent und unwirksam. Das ist im Übrigen eine rechtliche Beurteilung, die das OLG Wien selbst hätte treffen müssen. So dauert es weitere Monate wenn nicht Jahre, bis diese simple Rechtsfrage entschieden wird.
  • In den vielen Verfahren von deutschen Banken (insbesondere der Sparkasse Köln Bonn) gegen österreichische Anleger auf Rückzahlung der Ausschüttungen ist die Frage, welches Recht zur Anwendung kommt, ebenfalls Vorfrage. Nun können sich nahezu alle Bezirksgerichte in Ostösterreich mit tiefgreifenden Fragen des Internationalen Privatrechtes beschäftigen. Ich hoffe, die Richter warten ab und unterbrechen die Verfahren, bis die Verbandsklage geklärt ist.

Dieses Beispiel aber zeigt, dass die Zivilprozessordnung in Österreich nicht fit ist, Massenverfahren sinnvoll abzuwickeln. Es fehlt ein geordneter Musterprozess, wo man diese Rechtsfragen rasch und für alle Geschädigten klären könnte. (Das BMJ hat seit 2007 einen Entwurf in der Schublade, der keine Chance auf Umsetzung hat, weil die WKO einfach seit Jahren „njet“ sagt.)

Was uns auch fehlt, kennt man aber in Deutschland unter dem Begriff „Sprung-Revision“. Da kann in grundsätzlichen Verfahren von der ersten Instanz (die die Tatsachen aufnimmt) gleich zum BGH „gesprungen“ werden (um eine Rechtsfrage zu lösen). Das Zwischenschalten des Berufungsgerichtes, das wie hier genau weiß, dass seine Rechtsmeinung sowieso vom OGH überprüft wird, wird weggelassen. Das beschleunigt die Klärung von wichtigen Rechtsfragen natürlich.

Österreich ist zwar das Land mit den nahezu höchsten Gerichtsgebühren, doch die Regierung kann sich leider nicht darauf einigen, mit diesem Geld auch die Zivilgerichtsbarkeit up to date zu halten. Die Konzerne gehen längst nicht mehr vor ordentliche Gerichte, sondern klären Konflikte bei Schiedsgerichten. Den kleinen Leuten aber wird zugemutet, dass sich ihre Verfahren – seit 2007 geht es häufig um Anlageberatungsschäden – ewig in die Länge ziehen.

[1] Siehe dazu Holzinger vs Schumacher, VbR 2016/110 f; Leupold, VbR 2016/105; Leupold, Immofonds in der Krise: Anleger in der Haftung? Wirtschaftsblatt v 31.7.2013.

[2] EuGH C-191/15 VbR 2016/97 (Leupold).