Die Klagebefugnis des VKI aus wissenschaftlicher Sicht

Kodek

HR Univ.-Prof. Dr. Georg E. Kodek, LL.M. (OGH / WU Wien)[1]

Die bisherigen Vorträge haben einen anschaulichen Einblick in die Tätigkeit des VKI geboten. Im Folgenden soll versucht werden, die Klagebefugnisse des VKI aus wissenschaftlicher Sicht kurz zu beleuchten.

Systematische Einteilung

Die Klagebefugnis des VKI lässt sich aus systematischer Sicht in zwei Bereiche unterscheiden, die durchaus unterschiedliche Funktionen erfüllen. An erster Stelle steht die Klagebefugnis kraft eigenen Rechts. Diese ist (meistens) angesprochen, wenn von „Verbandsklage“ die Rede ist. Die wichtigsten Fälle sind die Klagen nach dem KSchG (vor allem in Form der Bekämpfung unzulässiger Allgemeiner Geschäftsbedingungen) und nach dem UWG (Bekämpfung aggressiver Praktiken).

Auf einer anderen Ebene liegt die Geltendmachung abgetretener Individualansprüche. In diesen Fällen räumt der Gesetzgeber dem VKI nicht von vornherein einen eigenen Anspruch im Allgemeininteresse ein, sondern der Inhaber eines Anspruchs entschließt sich, diesen Anspruch zum Zweck der Geltendmachung dem VKI abzutreten. Diese Möglichkeit bildet auch die Grundlage für die „Sammelklage österreichischer Prägung“. Dabei handelt es sich um die Kombination aus der Sammlung von Ansprüchen durch Abtretung und aus der Inanspruchnahme gewerblicher Prozessfinanzierung.

Funktion und Bewertung

a) Verbandsklage

Bei der Verbandsklage räumt der Gesetzgeber bestimmten Verbänden im Allgemeininteresse einen eigenen Anspruch ein. Hier geht es um die Wahrung öffentlicher, also überindividueller Interessen im Wege eines Zivilprozesses. Diese Lösung ist keineswegs zwingend: Nach der Unterlassungsklagen-Richtlinie könnte auch eine Behörde mit der Vollziehung betraut werden („Behördenlösung“). Der österreichische Gesetzgeber hat sich – wie der deutsche – für die Umsetzung in Form des Zivilprozesses entschieden. Dadurch fügt sich die Verbandsklage vordergründig in das System des Zivilprozesses als Zweiparteienprozess ein. Bemerkenswert ist allerdings, dass wir hier Klagebefugnissen begegnen, denen nicht alle Merkmale eines gewöhnlichen zivilrechtlichen „Anspruchs“ zukommen: Die Rechtsordnung nimmt keine materielle Güterzuweisung an den Verband vor; der Verband kann über den Anspruch auch nur eingeschränkt disponieren. So kann er seinen Anspruch nicht abtreten und auch nicht einen Vergleich mit der Wirkung schließen, dass ein bestimmtes Verhalten des Gegners dann zulässig wäre. Vielmehr steht der hier eingeräumte „Anspruch“ einer bloßen Klagebefugnis nahe und hat seine eigenständige materiell-rechtliche Bedeutung weitgehend verloren.

Die Zuweisung derartiger Verfahren zum Zivilprozess zieht eine Reihe von Folgeproblemen nach sich. Einerseits stellt sich das Problem des Schutzes des Beklagten vor mehrfacher Inanspruchnahme durch verschiedene Verbände. Dabei handelt es sich jedoch derzeit um ein rein theoretisches Problem, weil der VKI und die Arbeiterkammer in der Praxis die einzigen Verbände sind, die derartige Verfahren anstrengen.

Schwerer wiegt, dass die Zuweisung zum Zivilverfahren auch zur Folge hat, dass der Verband dem Kostenersatzregime der ZPO unterworfen ist. Bei der „Behördenlösung“ würde der Staat demgegenüber nur im Fall einer unvertretbaren Rechtsansicht nach dem AHG haften. Im Zivilprozess muss der Verband nicht nur (zunächst) die eigenen Kosten finanzieren und erhält diese nur im Fall seines Obsiegens ersetzt, sondern muss im Fall des Unterliegens auch die Kosten der Gegenseite ersetzen. Der Verband trägt also ein erhebliches Kostenrisiko. Will der Gesetzgeber, dass die Verbände durch die Erhebung von Verbandsklagen Fragen im Allgemeininteresse klären lassen, so muss er auch für eine entsprechende finanzielle Ausstattung der Verbände Sorge tragen.

Das Kostenrisiko ist im Erkenntnisverfahren (zwar schon hoch genug, aber) noch einigermaßen kalkulierbar. Im Verfahren zur Erlassung einstweiliger Verfügungen können hier noch höhere Kosten auflaufen, weil der Antragsteller, wenn sich der Antrag letztlich als unberechtigt erweist, dem Gegner den gesamten durch die einstweilige Verfügung entstandenen Schaden ersetzen muss. Dies kann durchaus prohibitiv wirken. Man denke etwa an das Verbot einer Werbekampagne, das dazu führt, dass später eine neue Werbekampagne produziert werden muss, oder ähnliche Fälle.

Gerade im Bereich der Bekämpfung von unzulässigen Klauseln in AGB könnte das Abmahnverfahren zur Gerichtsentlastung beitragen. Diese Möglichkeit hat die Rechtsprechung aber gewissermaßen selbst „verbaut“. Im Kern geht es darum, dass nach der Rechtsprechung ein abgemahnter Unternehmer nach dem „Alles oder Nichts“-Prinzip sich nur entweder zur Gänze unterwerfen oder bestreiten kann; eine Anerkennung nur eines vom Unternehmer selbst für berechtigt erachteten Teils der Abmahnung ist nicht möglich. Diese Rechtslage wurde durch eine Entscheidung eines verstärkten Senats vor einigen Jahren „einzementiert“. Praktisch hat das Abmahnverfahren damit stark an Bedeutung verloren. Für dessen „Wiederbelebung“ wäre eine gesetzliche Klarstellung erforderlich, dass auch bei der Abmahnung nach dem KSchG – wie dies im Übrigen auch der Auffassung zum UWG und zum deutschen Recht entspricht – auch Teilunterwerfungen zulässig sind.

b) Geltendmachung abgetretener Ansprüche

Die Befugnis zur Geltendmachung abgetretener Individualansprüche erfüllt eine wichtige Rechtsschutzergänzungsfunktion: Die starren Streitwertgrenzen für die Anrufung des OGH von derzeit EUR 5.000 führen ja dazu, dass der OGH in den meisten Streitigkeiten des täglichen Lebens nicht mehr angerufen werden kann. Herr und Frau „Normalverbraucher“ können daher den Streit um das Handy, den Fernseher, die Karten für die Salzburger Festspiele oder den Gebrauchtwagen in aller Regel nicht vor den OGH bringen. Damit sind wichtige Bereiche des täglichen Lebens von einer letztinstanzlichen Überprüfung von vornherein ausgeschlossen. Diese Rechtsschutzlücke mildert die Möglichkeit, dass klagebefugte Verbände ihnen abgetretene Ansprüche geltend machen, für die dann die Streitwertgrenzen nicht gelten. Der rechtspolitische Grund dafür liegt darin, dass die Übernahme der Geltendmachung durch einen klagebefugten Verband die Wahrscheinlichkeit, dass die Klärung der Rechtsfrage von allgemeinem Interesse ist und somit die Bedeutung des Verfahrens über den Einzelfall hinausreicht, stark erhöht.

Die Befugnis, abgetretene Ansprüche geltend zu machen, eröffnet auch die Möglichkeit, mehrere Ansprüche zu bündeln. Damit gleicht die Aktivität des VKI und der Arbeiterkammer in gewisser Weise das Defizit aus, das sich daraus ergibt, dass die österreichische Rechtsordnung bisher kein eigenes Instrument dafür zur Verfügung stellt.

Ausblick: Die Geltendmachung kollektiver Interessen als Herausforderung für das Verfahrensrecht

a) Problemstellung

Der traditionelle Zivilprozess ist auf eine Auseinandersetzung zwischen zwei Parteien ausgerichtet. Heute gibt es jedoch zahlreiche Fälle, die nicht einige wenige, sondern eine Vielzahl von Personen betreffen. Beispiele sind Schadenersatzklagen von Anlegern oder von durch ein Kartell geschädigten Marktteilnehmern. Es geht daher hier keineswegs nur um Ansprüche von Verbrauchern. Zur Bewältigung derartiger Massenverfahren reicht unsere aus dem 19. Jahrhundert stammende Prozessordnung nicht aus. Die parallele Abwicklung hunderter oder sogar tausender Einzelprozesse würde die Justiz, aber auch die Verfahrensbeteiligten, insbesondere den Beklagten, aber auch Zeugen, überfordern. Aus diesem Grund haben mittlerweile zahlreiche Länder Gruppenverfahren eingeführt. In Österreich forderte 2004 eine einstimmige (!) Entschließung des Nationalrats, diesbezügliche Möglichkeiten zu prüfen. In den letzten Jahren gab es dann mehrere Anläufe, die jedoch zu keinem Erfolg führten.

b) Keine „amerikanischen Verhältnisse“

Bekannt geworden sind Sammelklagen aus den USA. Dort gelten jedoch ganz andere prozessuale und materielle Rahmenbedingungen. So entscheiden auch in Zivilverfahren vielfach Geschworenengerichte (was die vielfach extrem hohen Schadenersatzzusprüche erklärt), Anwälte der Kläger arbeiten oft auf Basis einer Erfolgsbeteiligung (was zahlreiche „Glücksritter“ anlockt) und der Kläger muss, wenn sich seine Klage als unberechtigt erweist, keinen Kostenersatz leisten. All das ist kein Merkmal der Sammelklage, sondern gilt in den USA genauso in Einzelprozessen. Durch Sammelklagen (die dort auch Personen umfassen können, die ihren Anspruch gar nicht geltend machen wollen) werden die Nachteile dieses Systems freilich verstärkt.

In Österreich ist das alles anders: In Zivilsachen entscheiden qualifizierte Berufsrichter; die Höhe von Schadenersatzbeträgen ist stets sehr maßvoll; Anwälte dürfen nicht auf Basis eines prozentuellen Erfolgshonorars arbeiten und der Kläger muss, wenn er den Prozess verliert, dem Beklagten die Kosten des Verfahrens ersetzen. Dies führt dazu, dass – anders als in den USA – zur Erhebung reiner „Erpressungsklagen“ in Österreich kein Anreiz besteht.

c) Ausgestaltung des Verfahrens

Das Gruppenverfahren beruht auf dem Gedanken, Fragen, die eine Vielzahl von Personen betreffen, gewissermaßen „vor die Klammer zu ziehen“ und gemeinsam zu entscheiden. Dies ist rascher und billiger als die parallele Abführung einer Vielzahl von Einzelverfahren und daher auch im Interesse der Beklagten. Die Bündelung zahlreicher Kläger ermöglicht zudem die Inanspruchnahme gewerblicher Prozessfinanzierung. Anders als in den USA soll das Verfahren freilich – anderen europäischen Vorbildern folgend – nur diejenigen Personen umfassen, die sich freiwillig daran beteiligen. Es gibt also keine „Zwangsbeglückung.

d) Mehrspuriger Ansatz

Die vielfältigen Probleme, die Massenverfahren mit sich bringen, erfordern einen mehrspurigen Ansatz. Hierzu gehört ein Musterfeststellungsverfahren, das die fallübergreifende Klärung von Rechtsfragen ermöglicht, ebenso wie die Einführung eines Gruppenverfahrens zur Geltendmachung einer Vielzahl gleichgelagerter Ansprüche. Wieder eine andere Lösung erfordern die sogenannten Bagatell- oder Streuschäden, die in Summe zwar eine erhebliche Höhe erreichen können, bei denen aber die auf den jeweiligen Einzelnen entfallene Schädigung so gering ist, dass dieser keine Veranlassung hat, selbst tätig zu werden. Hier könnte ein Gewinnabschöpfungsanspruch Abhilfe bieten.

e) Schluss

Die fast schon reflexartige Abwehrhaltung, die das Thema „Gruppenverfahren“ bei manchen Beteiligten auslöst, ist schwer verständlich. Es geht nicht um die Einführung neuer Ansprüche, sondern lediglich darum, dass bestehende Ansprüche relativ rasch und kostengünstig geklärt werden. Ein schutzwürdiges Interesse daran, dass bestehende (!) Ansprüche nicht oder nur erschwert geltend gemacht werden können, ist aber natürlich nicht anzuerkennen.

[1] Schriftliche Fassung eines beim VKI-Symposium „25 Jahre Klagen – Zukunft der Rechtsdurchsetzung“ am 20.3.2018 in Wien gehaltenen Impulsvortrags.

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